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Kolumne #6: Sonntags um die Mittagszeit

Wir kommen zum Sport. Heute für einmal mit Fussball. Von Moritz Marthaler

Es gibt Städte, die man mit Künstlern in Verbindung bringt, mit Musikern, mit Büchern vielleicht, mit Fussball natürlich. Doch Berlin ist vor allem bekannt als: Berlin. Die Stadt (und durchaus auch ihre Bewohner!) findet sich so grossartig, dass sie alles schluckt, was zu viel Aufmerksamkeit verlangt. Berlin ist vielleicht kein besonders schöner, aber ein durchwegs eitler Fleck. Mama Berlin ist für alle da, aber sie duldet keine Konkurrenz. Hier ist die Stadt der Star.

Und im Fussball, diesem nimmersatten Koloss, führt das dann dazu, dass Berlin irgendwie nicht richtig dazugehört. „Barcelona, London, Berlin“ lautet des Hipsters  europäischer Dreiklang – die deutsche Hauptstadt tanzt da fussballerisch aus der Reihe. Keine Meister, keine Grössen. Das würde nur unnötig den Star, die Stadt, gefährden. Der grösste Klub, die Hertha, kann nicht so recht, will nicht so recht, sie soll aber auch gar nicht so recht. Gross ist das Stadion, ab und zu kommen auch mal sechzig-, mal siebzigtausend Leute. Erfolgreich spielt man nicht, doch das gilt auch für andere Klubs, Schalke etwa, die ihre Städte fest im Griff haben. Zweitligist Union Berlin ist charmant und selbstironisch, die Ambitionen hält man klein, und wenn im Übermut dann doch mal von Aufstieg gesprochen wird, wie zu Beginn dieser Saison, so geht das mächtig in die Hose. Auf Rang 13 lebt sichs schlecht mit dieser Ansage.

Fussballerisch liefert Berlin also keine Spitzenprodukte. Doch Durchschnitt hat auch seinen Reiz. Willkommen in der Unterklasse! Hier hält Berlin echte Perlen bereit! Klar, Bratwurst mit Kartoffelsalat und ein Egger auf dem „Spitz“ in Ehren – aber die Auswahl in Berlin ist gigantisch. Am Sonntag um die Mittagszeit gehts jeweils los, investiert werden müssen zwischen vier und zehn Euro und je nachdem der eine oder andere Fahrradkilometer. Beschaulich beim Berliner Athletik-Klub im Poststadion, wo in grauer Vorzeit gar mal Länderspiele ausgetragen wurden und das Grillhaus gleichzeitig der Fanshop ist. Beeindruckend (für die 5. Liga) bei Tennis Borussia Berlin, wo manchmal noch über Tausend Fans kommen. Belustigend bei Tasmania, dem Traditionsklub mit dem ewigen Negativrekord in der Bundesliga: 1965/66 gelangen dem Klub aus Neukölln nur zwei Siege in 30 Spielen.

Der FC Breitenrain hält sich weiterhin wacker in der dritthöchsten Schweizer Klasse und ist ja längst ziemlich en vogue in der Schickeria des Berner Nordquartiers. Der Berliner Athletik-Klub ist in gewisser Hinsicht ein Pendant: Er ist der städtischen Berlin-Liga entwachsen, ebenso der Oberliga – als Regionalligist ist er der wohl beste Stadtklub im Amateurbereich. Wobei: In Deutschland fliesst bis hinunter in die Bezirksligen Geld, dem treffsicheren Stürmer werden mal die Spritkosten, dem ballsicheren Aufbauer die Fussballschuhe bezahlt. Nur etwas findet sich auf keinem der offiziell 159 Berliner Fussballrasen: Ein innovativerer Fansongtexter als der des FC Breitenrain. In the jungle, the mighty jungle!

Infos

Zur Kolumne: Moritz Marthaler, Berner Sportjournalist, entdeckt die deutsche Metropole Berlin für sich. Gleichzeitig schielt er auf das Geschehen in der Bundeshauptstadt Bern, manchmal auch auf den ambitionierten, aber öfter erfolglosen Berner Grossklub BSC Young Boys. Bern ist der Ausgangspunkt für Annäherungen und Schwenker auf Berlin und seine unendlichen Ausgehmöglichkeiten, zusammengewürfelte Bevölkerung, launischen Zeitgenossen und tausend Eigenheiten.

Di 10.11. 2015